Kaletra® – die erste Studie zur SARS-CoV-2-Therapie
Am Jin Yin-Tan Hospital in Wuhan wurden zwischen dem 18.01. und 03.02.2020 insgesamt 199 Patienten mit relevanten Symptomen per Zufall entweder einer Standardbehandlung plus Kaletra® oder einer Standardbehandlung allein zugeteilt.
Am Jin Yin-Tan Hospital in Wuhan, dem Epizentrum der Pandemie, wurden zwischen dem 18.01. und 03.02.2020 insgesamt 199 Patienten mit 1. Nachweis des Virus (also der SARS-CoV-2-Erbinformation), 2. radiologischen Zeichen einer Lungenentzündung und 3. Einschränkung der Lungenfunktion bzw. erniedrigten Sauerstoffsättigung des Blutes nach Genehmigung der Ethikkommission und Einwilligung der Studienteilnehmer per Zufall entweder einer Standardbehandlung plus Kaletra® (400 mg Lopinavir, 100 mg Ritonavir, 99 Patienten) 2 x tgl. für zwei Wochen oder einer Standardbehandlung allein (100 Patienten) zugeteilt. Die Standardbehandlung entsprach westeuropäischen Vorgaben. An dieser Stelle muss betont werden, dass chinesische Krankenhäuser zumindest in Metropolen die denkbar höchste Struktur- und Prozessqualität aufweisen und aufgrund der Erfahrungen mit der SARS-Pandemie 2002 möglicherweise besser auf neuartige Infektionskrankheiten vorbereitet sind als Kliniken und Institutionen in anderen Ländern.
Die Patienten waren im Durchschnitt 58 Jahre alt, 60% waren Männer, 12% litten an einem Diabetes mellitus. Zwischen ersten Symptomen und Studieneinschluss vergingen im Durchschnitt 13 Tage. Ein Drittel aller Patienten erhielten Glucocorticoide („Kortison“) unter der Maßgabe einer Reduktion von Entzündung, Schwellung und Flüssigkeitseinlagerung im Lungengewebe. Mittlerweile hat sich diese Praxis als unvorteilhaft erwiesen, da sie auch die Immunabwehr gegen virale und andere Erreger schwächen kann.
Im Zielkriterium der Zeit bis zu einer klinischen Besserung (gemessen mittels einer mehrstufigen Bewertungsskala) wurden keine Unterschiede zwischen einer Behandlung mit oder ohne Kaletra® nachgewiesen - im Durchschnitt betrug die Zeit zwischen Studienbeginn und klinischer Besserung in beiden Gruppen 16 Tage.
Die Gesamtsterblichkeit 28 Tage nach Studieneinschluss war unter Kaletra® zahlenmäßig niedriger als unter einer Standardbehandlung:
Dieser numerische Effekt ist im Vergleich zu medikamentösen Behandlungen bei häufigen, chronischen Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Verschlüssen der Herzkranzgefäße beachtlich. So müssen viermal mehr Patienten (etwa 79) mit Beta-Blockern und zehnmal mehr Patienten (etwa 187) mit ASS nach einem Herzinfarkt behandelt werden, um einen zusätzlichen Todesfall zu vermeiden.
Statistisch betrachtet waren die Unterschiede zwischen der zusätzlichen Therapie mit Kaletra® und der Standardtherapie jedoch nicht so groß (bzw. der mögliche Messfehler zu hoch), dass sie nicht auch durch Zufall entstanden sein könnten (sie waren statistisch nicht signifikant). Die Hälfte aller Patienten entwickelten in beiden Therapiegruppen unerwünschte Ereignisse („Nebenwirkungen“). 14% der Patienten, die das HIV-Medikament erhielten, mussten die Therapie wegen Übelkeit, Bauchschmerzen, Durchfällen vorzeitig abbrechen. Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse traten unter einer Standardbehandlung häufiger auf, insb. das gefürchtete Lungenversagen (ARDS) trat unter Lopinavir-Ritonavir (13%) nur halb so oft auf wie in der Kontrollgruppe (27%).
Fazit
Die Hoffnung auf einen schnellen therapeutischen Durchbruch mit dem zugelassenen HIV-Medikament Kaletra® zur Behandlung einer schweren SARS-CoV-2-Infektion wurde durch diese erste chinesische Studie zunächst etwas gedämpft. Die Ergebnisse würden jedoch eine größere Studie an mehreren internationalen Zentren rechtfertigen, bei der Lopinavir-Ritonavir mit anderen Substanzen kombiniert werden könnte.
(Stand: 24.03.2020)