CFR-PEEK- versus winkelstabile Titan-Platten zur Osteosynthese proximaler Humerusfrakturen

Ein-Jahres-Ergebnisse einer randomisierten Studie

 

BG Klinik Tübingen

25.08.2024

P. Ziegler, S. Maier, F. Stuby, T. Histing et al.

doi: 10.3390/jcm12216881.PMID: 37959346; PMCID: PMC10648264

 

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Was bisher bekannt ist

Daten des Statistischen Bundesamtes legen eine jährliche Inzidenz proximaler Humerusfrakturen in Deutschland von 90 / 100.000 Einwohnern nahe. Damit liegt diese Bruchform an vierter Stelle hinter Frakturen des Oberschenkelhalses, trochantären Femur- und distalen Radiusfrakturen. Zwischen 2009 und 2019 wurde ein Anstieg der Häufigkeit um 10 % beobachtet. Etwa ein Drittel aller Fälle betriff die arbeitende Bevölkerung ≤ 65 Jahren und ist unter anderem deshalb auch für die gesetzliche Unfallversicherung und die BG Kliniken relevant.
Neben der primär funktionellen Therapie und dem endoprothetischen Ersatz stellt, in Abhängigkeit von der Frakturmorphologie (d.h., der Zahl der Fragmente gemäß Klassifikation nach Neer, der Trümmersituation und Instabilität nach AO / OTA Schema etc.) die winkelstabile Platten- oder Schrauben-Osteosynthese mit Titanimplantaten eine der wichtigsten chirurgischen Behandlungsoptionen dar. Insbesondere bei verminderter Knochenmineraldichte kann die hohe Steifigkeit des Osteosynthese-Konstrukts jedoch die Belastungstoleranz des Gewebes überschreiten und zu Schrauben-Ausbrüchen führen. Auch die sogenannte Kaltverschweißung von Titan-Titan-Kombinationen erweist sich im klinischen Alltag als mögliche Quelle unerwünschter Implantat-assoziierter Komplikationen.
Kohlefaserverstärkte Poly-Ether-Ether-Keton-Implantate (CFR-PEEK) könnten die beschriebenen biomechanischen Nachteile vermeiden und aufgrund ihrer Röntgenstrahlen-Durchlässigkeit zudem die radiologische Bewertung des Repositionsergebnisses erleichtern.
Es ist unklar, ob, im Einklang mit dem PICOT-Prinzip (Patient / Problem, Intervention, Control, Outcome, Time) eine interne Stabilisierung proximaler Humerusfrakturen mittels CFR-PEEK-Implantaten zu vergleichbaren funktionellen Ergebnissen nach einem Jahr führt wie die Osteosynthese mit etablierten winkelstabilen Titan-Platten.
In der BG Klinik Tübingen wurde bereits 2016 eine randomisierte Studie initiiert, um diese Frage zu beantworten. Mittelfristige Ergebnisse wurden publiziert. Nun liegen die Resultate einer Nachbeobachtung nach einem Jahr vor.

Studiendesign und Resultate

Zwischen Oktober 2016 und Juni 2018 wurden 79 potenziell geeignete Patientinnen und Patienten mit proximalen Humerusfrakturen gescreent, von denen 76 in eine offene randomisierte Studie eingeschlossen werden konnten (DRKS00011376). Die Teilnehmenden wurden per Zufall entweder einer Osteosynthese mittels winkelstabiler Titan-Platte (PHILOS®, DePuy Synthes) oder der CFR-PEEK Power Humeral Fracture Plate (Arthrex) zugeteilt.
Nach einem Jahr standen 45 Frauen und 9 Männer mit einem mittleren Alter von 63 (SD 11) Jahren für die Nachuntersuchung zur Verfügung. Neer 2, 3 und 4 Part Frakturen lagen in 9 (17 %), 32 (59 %) und 13 (24 %) der Fälle vor. 
Erhoben wurden der Oxford Shoulder Score (OSS), der Simple Shoulder Test (SST), und der Disability of the Arm, Shoulder, and Hand (DASH) Score. Die minimal-relevanten klinischen Differenzen (MCID) im OSS, SST und DASH liegen im Mittel bei 5, 3 und 10 Punkten in Abhängigkeit von der untersuchten Population, Entität, chirurgischen Prozedur etc. Neben Mittelwerten mit SD wurden standardisierte Mittelwertdifferenzen (SMD) mit 95 % Konfidenzintervall (KI) berechnet.
Über die Zeit waren keine klinisch relevanten Differenzen in den untersuchten funktionellen Scores nachweisbar. Die SMD für OSS, SST und DASH betrugen -0,08. 0,01 und 0,29 zugunsten von CFR-PEEK. Im DASH wurde nach einem Jahr ein Vorteil für CFR-PEEK beobachtet, welcher zwar mit dem Zufall vereinbar war (zumal die Lost-to-Follow-Up-Rate bei knapp 30 % lag) und auch unterhalb der MCID lag, in einem konfirmatorischen multizentrischen RCT aber berücksichtigt werden müsste. Um diesen Effekt unter der Annahme konservativer Fehler I. (5 %) und II. Art (20 %) in einem gruppensequenziellen Design mit einer geplanten Interims-Analyse nachweisen zu können, sollten 2 × 200 Patientinnen und Patienten randomisiert werden. Dies wäre in einem multizentrischen Ansatz ambitioniert, aber realisierbar.

Bedeutung für die klinische Versorgung und Forschung in den BG Kliniken

Implantate aus CFR-PEEK könnten das Behandlungs- und Implantat-Spektrum der BG Kliniken sinnvoll erweitern. In Kooperation mit den Herstellern sollte erwogen werden, die beobachteten unizentrischen Ergebnisse in einem erweiterten und übergeordneten Kontext zu überprüfen. Dies muss nach den Vorgaben des Medizinproduktegesetzes und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erfolgen, könnte aber entscheidend zur Nutzenbewertung dieser modernen Materialkombination beitragen.