Kritisch hohe Serum-Metallionenkonzentrationen bei modularen gekoppelten Knie-Totalendoprothesen

Erhebliche Unterschiede bei unterschiedlichem Kopplungsmechanismus, aber kein Einfluss auf patientenzentrierte Endpunkte

 

BG Unfallklinik Frankfurt am Main

18.02.2024

Y. Gramlich, L. Hofmann, S. Kress, C. Ruckes et al.

doi: 10.1302/0301-620X.104B3.BJJ-2021-0492.R2. PMID: 35227095.

 

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Was bisher bekannt ist

Vor einigen Jahren führten potenziell toxische Metallionenkonzentrationen im Blut (insbesondere Kobalt und Chrom) und hohe Versagensraten nach Hüftgelenkersatz mit Metall-Metall-Gleitpaarungen (metal-on-metal, MoM) zu internationaler Aufmerksamkeit, den Rückruf von bestimmten Implantaten sowie Warnhinweisen von Behörden und Fachgesellschaften.
Auch Revisions-Knietotalendoprothesen bei Instabilitäten, knöchernen Defekten, insbesondere aber Wechseloperationen, nutzen MoM-Paarungen. Bei den meisten dieser Implantate handelt es sich um modulare Tumor- oder Megaprothesen mit einem Scharniermechanismus. Die im Zuge dieser Kopplung auftretenden mechanischen Kräfte und Korrosion („Hingiosis“, nach engl. Hinge = Scharnier) könnten die systemische Freisetzung von Metallionen fördern sowie eine besondere chronische Entzündung der Gelenkinnenhaut (Synovitis) mit Knochenschwund (osteoklastischer Resorption) und fortschreitender, schmerzhafter Lockerung des Implantats hervorrufen. Diese lokale Weichteilreaktionen wird als aseptische Lymphozyten-dominierte Vaskulitis-assoziierte Läsion (ALVAL) bezeichnet. 
In dieser retrospektiven Studie der BG Unfallklinik Frankfurt am Main wurden zwei Revisionsknieplattformen mit unterschiedlicher Lastübertragung im Hinblick auf Blut-Metallionenkonzentrationen (gemessen mittels Massenspektometrie, ICP-MS), und Komplikationsraten und patientenzentrierten Outcomes mindestens zwölf Monate nach dem Eingriff miteinander verglichen.

Studiendesign und Resultate

Zwischen Januar 2015 und Dezember 2019 erhielten 126 Betroffene 131 Revisions-Kniegelenkendoprothesen, von denen 88 (91 Implantate) eingeschlossen wurden. Nachuntersucht wurden 27 (27) beziehungsweise 36 (38) Fälle mit BPK-S (Peter Brehm GmbH, Weisendorf, einem MoM-Scharnier auf Polyethylen-Inlay) oder MUTARS® GenuX® (Modulares Universelles Tumor- und Revisionssystem, implantcast GmbH, Buxtehude, auch als MoM- Buchse bezeichnet). 
Es standen Daten von 28 Männern und 35 Frauen mit einem mittleren Alter von 69 (SD 10) Jahren zur Verfügung. Die mittlere Nachuntersuchungsdauer betrug 23 (Spanne, 12 bis 51) Monate. Die mittleren Kobalt Konzentrationen im Blut betrugen 9,5 (SD 10,4) µg/l in der BPK-S- und 16,3 (SD 12,1) µg/l in der GenuX® Gruppe (Mittelwertdifferenz zugunsten des BPK-S-Systems 6,8 [95 % Konfidenzintervall 1,1 bis 12,5], p =0,0199). Die mittleren Chrom-Konzentrationen betrugen 5,2 (SD 4,0) und 9,5 (SD 7,6) µg/l (Mittelwertdifferenz 4,3 [95 % KI 1,3 bis 7,3], p = 0,0053). Zum Vergleich: Nach primären Kniegelenkersatz werden selten Blutkonzentrationen über 1 μg/l beobachtet, Referenzwerte bei Hüftendoprothesenträgern sollten unter 7 µg/l liegen.
Erhöhte Metallionen-Blutkonzentrationen waren nicht mit dem Bewegungsumfang (range-of-motion, ROM) des Kniegelenks, funktionellen Instrumenten wie dem Western Ontario and McMaster Universities Osteoarthritis Index (WOMAC) und Knee Society Score (KSS), oder den körperlichen (PCS) und mentalen (MCS) Summenskalen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (gemessen mit dem Short-Form 12, SF-12) assoziiert.

Bedeutung für die klinische Versorgung und Forschungin den BG Kliniken

Sowohl das BPK-S als auch das GenuX® Knie mit gekoppeltem MoM-Scharniermechanismus führten im Mittel zu kritisch hohen Kobalt- und Chromionenkonzentrationen 12 Monate nach dem Indexeingriff. Das BPK-S war im Vergleich zum GenuX® System mit einer niedrigeren Wahrscheinlichkeit für Metallionenkonzentrationen >7μg/l (Odds Ratio 0,17, 95 % KI 0,05 bis 0,50, p = 0,0012) assoziiert, was darauf hindeutet, dass die lastübertragende Mechanik den Verschleiß der Komponenten beeinflussen kann. 
Die rekonstruktive, gelenk- und / oder funktionserhaltende Chirurgie einschließlich der Revisions-Endoprothetik im Falle von Infektionen und sonstigen aussichtslosen Situationen stellt einen zentralen Versorgungsauftrag und ein ausgewiesenes Exzellenzspektrum der BG Kliniken dar. Modulare achsgekoppelte Revisions-Knieendoprothesen bieten geeignete Optionen für die Behandlung dieser Fälle. Bei einem Fünftel aller Betroffenen lag die Blutionenkonzentration nach mindestens einem Jahr Nachbeobachtung allerdings über 20 µg/l, so dass nach aktuellen Leitlinien eine Entfernung des Implantats erwogen werden müsste. 
Jede Revisionsoperation bedeutet eine erhebliche, insbesondere körperliche, Belastung für die Betroffenen. Demgegenüber sind etwaige gesundheitliche Folgen einer lokalen oder systemischen Metallose und ihre etwaigen Auswirkungen auf die Funktion oder Lebensqualität während des frühen Nachbeobachtungszeitraums noch unklar.
Die Beobachtungen müssen zunächst in größerem Rahmen bestätigt werden, bevor klinisch und versorgungsrelevante Entscheidungen im Kontext der BG Kliniken und darüber hinaus getroffen werden können.