Künstliche Intelligenz zum Nachweis klinischer Leistung
Spitzenmedizin, mit der man rechnen kann
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30.09.2020Ab dem Frühjahr 2021 tritt die sogenannte Medical Device Regulation (EU-MDR) in Kraft. Die neue EU-Verordnung verpflichtet die Hersteller von Medizintechnik zu Angaben über die klinische Leistungsfähigkeit ihrer Produkte. Beispielsweise zur Lebensdauer von Knieprothesen. Kann ein Hersteller diesen Nachweis nicht erbringen, darf er seine Produkte zukünftig nicht mehr auf dem europäischen Markt vertreiben. Für die Verantwortlichen liegt die Herausforderung jedoch nicht in der Datenerhebung, sondern in der Zusammenführung und Auswertung vorhandener Informationen. Der Grund: Trotz hochmoderner Operationstechnik speichern viele Krankenhäuser ihre Patientendaten häufig in klassischen Archiven. Diese sind in Kliniken traditionell auf eine langfristige Informationsspeicherung ausgelegt. Die Möglichkeit große Datenmengen zusammenzuführen spielte bisher keine Rolle. Durch die EU-MDR sind nun jedoch neue Lösungen gefragt, die eine intelligente Analyse unterschiedlicher Datenquellen ermöglichen.
Eine Aufgabe, der sich das Siegfried-Weller-Institut für Unfallmedizinische Forschung (SWI) unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Nüssler stellt. Anfang des Jahres ist am Forschungsinstitut der BG Unfallklinik Tübingen (BG) das Projekt „Künstliche Intelligenz für Klinische Studien“ (KIKS) gestartet. Das Ziel ist der Aufbau einer Datenbank, die bereichsübergreifende Patienteninformationen in einem gemeinsamen System erfasst. Eine automatisierte Auswertung soll anschließend wichtige Daten über die Leistungsfähigkeit der klinischen Produkte liefern. Dabei arbeitet das SWI eng mit regionalen und überregionalen Unternehmen zusammen, um diese bei der Umsetzung der neuen EU-Verordnung zu unterstützen. Gleichzeitig ist zukünftig gewährleistet, dass die Leistungsfähigkeit aller eingesetzten klinischen Produkte in der BG Klinik Tübingen wissenschaftlich belegt ist.
Darüber hinaus sieht Institutsleiter Prof. Dr. Andreas Nüssler aber noch ein weiteres Potenzial: „Durch die Analyse großer Datenmengen können wir unsere Behandlungserfolge steigern. Beispielsweise zeigt unsere Forschung, dass Patienten mit einem Risiko für Mangelernährung deutlich häufiger Komplikationen in der Unfallchirurgie entwickeln. Solche Zusammenhänge zu erkennen hilft uns Therapien anzugleichen und die Lebensqualität unserer Patienten zu verbessern.“ Besonders für ältere Menschen und solche mit chronischen Entzündungen können Erkenntnisse dieser Art überlebenswichtig sein.
Unterstützung erhält die BG dabei auch vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Dieses fördert das KIKS-Projekt über den Lehrstuhl für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie an der Eberhard Karls Universität Tübingen. „Durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz für klinische Studien optimiert die BG Klinik weiterhin den Selbstanspruch an eine Patientenversorgung auf Spitzenniveau. Der hohe Innovationsgrad und die staatliche Förderung werden auch überregional zum bereits herausragenden Ruf der universitären Forschung in Tübingen beitragen“, freut sich Prof. Dr. med. Tina Histing, Ärztliche Direktorin der BG Klinik Tübingen und Deutschlands erste Lehrstuhlinhaberin für Unfallchirurgie.
Auch der ethische und datenschutzrechtliche Aspekt sind zentrale Bestandteile bei der Umsetzung des Projekts. Voraussetzung für die Verarbeitung der Patientendaten ist, dass diese im Vorfeld über den Zweck der Datenbank informiert werden und ihre schriftliche Einwilligung in die Nutzung ihrer Daten geben. Zudem muss absolut sichergestellt sein, dass die erhobenen Daten vor unbefugten Zugriffen geschützt sind. Um eine Zweckentfremdung auszuschließen, sind der Datenschutz und die IT-Abteilung der Klinik fester Teil des Projektteams.
Abgebildete Personen auf dem Foto (von links nach rechts):
Gottfried Schanz (IT Leitung), Professor Andreas Nüssler (Projektleiter), Dr. Felix Erne (Arzt), Dr. Marie Reumann (Ärztin), Johann Jazewitsch (ITler), Isabell Grow (Studienassistentin)