Ein Sprung ins Wasser und plötzlich ist alles anders
Weltquerschnitttag am 5. September soll Öffentlichkeit wachrütteln.
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05.09.2020Einmal im Jahr, am 5. September, wird weltweit der Tag der Querschnittverletzten begangen. Die Deutschsprachige Medizinische Gesellschaft für Paraplegiologie (DMGP) schafft eine Plattform, um die Öffentlichkeit auf das Leben mit der Behinderung aufmerksam zu machen und sich für Inklusion stark zu machen. Auch wenn es Corona in diesem Jahr nicht möglich macht, Veranstaltungen und Aktionen durchzuführen, ist es gerade jetzt wichtig, einen Blick auf das Thema zu werfen und das Bewusstsein für Prävention zu schärfen. Denn jährlich erleiden rund 1.800 Menschen in Deutschland eine Querschnittlähmung.
„Gerade in diesem Jahr ist es wichtiger denn je, auf die dramatischen Folgen einer Querschnittlähmung aufmerksam zu machen“ mahnt Dr. Doris Maier, Leitende Ärztin des Zentrums für Rückenmarkverletzte an der BG Unfallklinik Murnau. „Vermutlich durch den besonderen Freiheitsdrang nach Beendigung des Lockdowns mussten wir im Zentrum für Rückenmarkverletzte an der BG Unfallklinik Murnau leider in diesem Jahr auffällig viele Querschnittverletzungen verursacht durch Kopfsprünge ins Wasser verzeichnen“ ergänzt Maier.
Der Aktionstag wird weltweit begangen und soll ein Licht auf das Thema Querschnittlähmung werfen und daran erinnern, wie wichtig Prävention ist. Gleichzeitig dient der Tag dazu, die Öffentlichkeit für den Umgang mit Querschnittgelähmten zu sensibilisieren und auf den lebenslangen Versorgungsbedarf der Patienten aufmerksam zu machen.
Die BG Unfallklinik Murnau ist für die Behandlung von Rückenmarkverletzten über die Grenzen hinaus bekannt. Seit über 50 Jahren arbeiten hier Experten Tag für Tag daran, das Leben von Patienten mit Rückenmarkverletzungen zu verbessern. In der Medizin, der Pflege und auch in der Forschung ziehen die Fachleute in Murnau an einem Strang und verfolgen ein gemeinsamen Ziel: Lebensqualität für die Patienten.
Die Diagnose Querschnittlähmung beutet in den meisten Köpfen, nicht mehr gehen zu können. „Doch es hängen noch zahlreiche andere lebenswichtige Körperfunktionen und Beeinträchtigungen damit zusammen“ sagt Dr. Doris Maier. „Hochgelähmte Patienten sind oft von Beatmungsgeräten abhängig. Auf unserer Weaning-Station werden die Patienten von der Maschine entwöhnt. Ein erster Schritt in Richtung Unabhängigkeit.“
Der Patient kann durch eine spezialisierte Erstbehandlung und dank der zahlreichen Hilfsmöglichkeiten ein hohes Maß an Selbständigkeiten wiedererlangen. Dennoch bedarf es in den meisten Fällen einer lebenslangen Begleitung. Auch nach dem Aufenthalt in einem spezialisierten Querschnittzentrum wie dem der BG-Unfallklinik von, je nach Schweregrad, drei bis neun Monaten, ist der enge Austausch zwischen Behandlern und Patienten sehr wichtig. Daher hat die BG Unfallklinik Murnau bereits von Beginn an das Konzept der lebenslangen Nachsorge eingeführt. Ärzte, Pflegekräfte und Therapeuten stehen mit den Patienten über Jahre in engem Kontakt. Pro Jahr begleiten die Mitarbeiter des Zentrums für Rückenmarkverletzte an der BG Unfallklinik Murnau rund 1.600 Patienten mit den unterschiedlichsten Verletzungsmustern. „Dadurch entsteht eine Art lernendes System“, sagt Dr. Doris Maier. „Denn Patienten erhalten bei uns nicht nur Hilfe und Rat für ihre individuellen Probleme, vielmehr bekommen wir auch von unseren langjährigen Patienten immer wieder Rückmeldungen, um noch besser zu werden. So können wir unsere lebenslange Betreuung auf modernstem Niveau und stets individuell angepasst anbieten.“
Forschung und Lehre
Lehre und Weiterbildung ist ein wichtiger Baustein im Zentrum. Seit über 20 Jahren wird hier Pflegekräften aus ganz Deutschland die Fachweiterbildung „Pflege von querschnittsgelähmten Menschen“ angeboten – eine Weiterbildung, die an der BG Unfallklinik Murnau entstand und seit drei Jahren von der DMGP zertifiziert ist. Bereits über 300 Pflegekräfte durchliefen seither diese Zusatzausbildung und bringen ihr Wissen in Querschnittzentren in ganz Deutschland mit ein.
Nach wie vor gibt es keine Operationsmethode oder Therapie, um eine Querschnittlähmung zu heilen. Jedoch lässt eine sehr rege Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Neuroregeneration eine berechtigte Hoffnung zu. Zudem ermöglichen vielversprechende technologische und klinische Forschungsansätze eine stetige Verbesserung des Therapieangebotes. „Mit unseren Kooperationen schaffen wir einen Wissenstransfer von der Theorie in die Praxis und umgekehrt“ sagt Dr. Doris Maier. Damit spielt sie auf die zahlreichen Forschungsprojekte zusammen mit dem hauseigenen Institut für Biomechanik oder in der engen Zusammenarbeit mit der PMU Salzburg an. Zudem werden im Zentrum für Rückenmarkverletzte der Unfallklinik zahlreiche technologische Entwicklungen klinisch-fachlich begleitet - eine fruchtbare Zusammenarbeit mit der Medizintechnologie, aus der schon zahlreiche segensreiche Hilfs- und Therapiegeräte, allen voran das Exoskelett, einem am Körper getragenem Assistenzsystem zur mechanischen Ausführung von Bewegungen, hervorgegangen sind. Viele von ihnen leisten einen wesentlichen Beitrag zur Steigerung der Lebensqualität der Patienten.
Über 400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind es in Murnau, die täglich die hochprofessionelle Versorgung von Rückenmarkverletzten sicherstellen und sie auf dem bestmöglichen Weg zurück ins Leben unterstützen. Diese komplexe Herausforderung gelingt nur dank der engmaschigen Zusammenarbeit eines großen Teams: Unfallchirurgen/Orthopäden, Internisten, Neurologen, Neuro-Urologen, Fachpflegekräfte, Fachtherapeuten, Psychologen, Logopäden, Sozialarbeiter und vor allem der Patient arbeiten Hand in Hand.
„Der Tag der Querschnittlähmung am 5. September ist ein guter Anlass aufzuzeigen, dass es mehr braucht als ein gutes Team im Querschnittzentrum. Für eine inklusive Welt und Chancengleichheit muss auch die Öffentlichkeit mit an einem Strang ziehen“ fügt Dr. Doris Maier hinzu. So zeigt sich aktuell, dass der Zugang zum Gesundheitswesen während einer Pandemie für Patienten mit Rückenmarkverletzungen zusätzlich erschwert wird. Oft dramatische Folgen wie zum Beispiel eine unzureichende Wundversorgung bei Liegegeschwüren machen dies deutlich. „Wir blicken in Deutschland auf eine sehr gute Versorgungsstruktur. Dennoch ist der Tag der Querschnittlähmung nach wie vor ein wichtiger Anstoß, damit die Unterstützung und Weiterentwicklung im Umgang mit Rückenmarkverletzten nicht in Vergessenheit gerät!“