Intermittierendes Katheterisieren
Im Folgenden drucken wir in Anlehnung an die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU) Auszüge aus »Management und Durchführung des Intermittierenden Katheterismus (IK) bei Neurogenen Blasenfunktionsstörungen«.
5. Durchführen des intermittierenden Katherismus
5.1.Desinfektion
5.1.1. Händedesinfektion
Die hygienische Händedesinfektion wird für den sterilen und aseptischen Katheterismus im Rahmen der Infektionsprävention als obligatorisch angesehen. Eine Händereinigung unmittelbar vor dem IK, die vielerorts als ausreichend propagiert wird, ist für den Rollstuhlfahrer in vielen Situationen nicht möglich.
Eine Händedesinfektion kann dagegen auch in folgenden Situationen durchgeführt werden:
- wenn der Rollstuhlfahrer nach dem Händewaschen vom Waschbecken zur Toilette rollt,
- sich zur Erreichen der richtigen Sitzposition auf den Rädern abstützt,
- der IK aufgrund unerreichbarer Toiletten in Nischen durchgeführt wird.
5.1.2. Desinfektion des Meatus urethrae
5.1.2.1 Desinfektionsmittel und desinfizierende Reinigungsmittel
Es werden sog. Schleimhaut-Desinfektionsmittel und desinfizierende Reinigungsmittel unterschieden. Zur Entfernung der Desinfektionsmittelrückstände kann klares Wasser verwendet werden.
5.1.2.2. Einwirkzeit
Die Einwirkzeit für die Desinfektionsmittel und desinfizierende Reinigungslösungen richtet sich nach den Herstellerangaben.
5.1.2.3. Durchführung der Desinfektion Die derzeit angewendeten Methoden:
- Wischdesinfektion: Wischen, Verwendung von getränkten sterilen Tupfern/Kompressen
- Frauen mindestens 3 separate Tupfer für die großen Labien, kleine Labien und Urethra-Eingang, Wischrichtung beachten (von Symphyse zum Anus)
- Männer: mindestens 2 Tupfer für Glans und Meatus urethrae (möglichst spreizen)- Sprühdesinfektion: 2 Sprühstöße - einwirken lassen
- Sprüh-Wischdesinfektion: „sprühen-wischen-sprühen-einwirken“ - 1 Tupfer ausreichend
- Die Arbeitsgruppe „Intermittierender Katheterismus“ empfiehlt aufgrund einer Konsensusentscheidung die Desinfektion des Meatus urethrae im Rahmen des aseptischen IK (auch wenn hierfür keine studienbasierte Evidenz existiert).
- Desinfektion mit Octenisept®, PVP-Iod-Lösungen oder Skinsept® Mucosa als zugelassene Schleimhaut-Desinfektionsmittel, bei Desinfektionsmittelunverträglichkeit alternativ desinfizierende Reinigungsmittel wie Prontosan ® Wound Spray oder Decontaman® liquid.
- Als Desinfektionsmethode wird die Sprüh-Wischdesinfektion empfohlen.
- Wichtig ist die Einhaltung der Einwirkzeit (gemäß Herstellerangaben).
5.2. Wichtige Aspekte zur Durchführung des Intermittierenden Katheterismus
Die Durchführung des Intermittierenden Katheterismus richtet sich u. a. nach den Spezifika des verwendeten Katheters oder Kathetersystems. Hierzu geben die Firmen detaillierte Angaben zu den jeweiligen Produkten.
Prinzipiell gilt: Der Katheter muss ohne Gewalt eingeführt werden!
Aspekte, die unabhängig vom gewählten Material beim IK zum Tragen kommen:
- Entfernung/Kürzung der Schamhaare bei Bedarf
- Katheterisieren ist stehend, sitzend und liegend möglich. Im Sitzen kann es hilfreich sein, im Stuhl nach vorn zu rutschen um eine Beckenkippung zu erreichen
- Mann: Vorhaut zurückziehen; eine Streckung des Penis ist für das Einschieben des Katheters und zur Vermeidung von Harnröhren-Verletzungen notwendig
- Frau: Labien spreizen
- langsames Einführen des Katheters bis Urin läuft; dann den Katheter noch ca. 1 cm weiterschieben
- warten bis der Urinfluss stoppt; Katheter dann in kleinen Etappen langsam zurückziehen
- ISK (Intermittierenden Selbstkatheterismus) bei unzureichender Handfunktion: ergotherapeutische Hilfsmittel mit einbeziehen (z. B. Spiegel, Einführhilfen usw.), die den ISK — u. U. mit graduellen Abstrichen an der aseptischen Technik — ermöglichen
Medikamenteninstillation bei IK
Werden Medikamente nach dem IK in die Blase instilliert muss der Katheterkonus steril bleiben.
6. Management von Komplikationen beim IK
Beim Auftreten von Komplikationen ist immer eine ärztliche Vorstellung notwendig. Die regelmäßigen neuro-urologischen Kontrolluntersuchungen in risiko-adaptierten Intervallen, einschließlich der Evaluierung des IK tragen zur Erkennung und Vermeidung von Komplikationen im Langzeitverlauf bei.
6.1 Mögliche Komplikationen und deren Management
Hautveränderungen (am Meatus urethrae)
- Wechsel des Desinfektionsmittels
- Kontrolle der Hautreinigungsmittel und deren Zusätze
- Entfernen von Desinfektionsmittelresten/Gleitmittel mit Wasser
- evtl. dermatologische Vorstellung
Probleme beim Einführen des Katheters
- mechanische Probleme
- Blut am Katheter / Katheterspitze
- urethrale Blutung
- Handling überprüfen
- Wechsel des Katheters (Spitze, Beschichtung etc.)
- ggf. Röntgen-Diagnostik der Harnröhre oder Zystoskopie
Beckenboden-Spastik / spastischer Sphinkter
- für Entspannung sorgen (Atemtechnik, Hustenstoß)
- Lagerung (z. B. Froschlagerung)
- meist hilft Abwarten, bis sich die Spastik löst
Schmerzen
- Handling überprüfen
- Urindiagnostik
- gegebenenfalls Wechsel der Katheter-Art, der Spitze, der Beschichtung
- evtl. Benutzen von anästhesierendem Gleitmittel
- psychische Aspekte berücksichtigen
Inkontinenz
- Urindiagnostik
- Überprüfen von Katheterisierungszeiten und jeweiliger Füllmenge der Harnblase
- Miktions-Trinkprotokoll führen (s. Pkt. 4)
- passagere Versorgung mit aufsaugenden oder ableitenden Hilfsmitteln
- Blasenfunktionsdiagnostik
Veränderung von Aussehen und Geruch des Urins
- Urindiagnostik
- Überprüfen der täglichen Trinkmenge
- an mögliche Ernährungsfaktoren und Medikamente denken
6.2. Autonome Dysreflexie
Eine Aktivierung des sympathischen Nervensystems kann bei Schädigung des Rückenmarks oberhalb des 6. thorakalen Rückenmarksegmentes (zum Teil auch bis zum 9.) zu lebensbedrohlichen Komplikationen infolge einer Autonomen Dysreflexie führen. Es kann zu schweren Bluthochdruckkrisen und bradykarden Herzrhythmusstörungen kommen.
Klinische Zeichen einer Autonomen Dysreflexie:
- klopfende Kopfschmerzen
- starkes Schwitzen und gerötete, überwärmte Haut speziell im Gesicht, im Nacken und an den Schultern (oberhalb des Lähmungsniveaus)
- Gänsehaut, „aufgestellte Haare“
- Angst und Zittern
- verschwommenes Sehen, Schleier vor den Augen
- verstopfte Nase
- Enge-Gefühl in der Brust, Arrhythmie und Atembeschwerden
Wichtig:
- Der häufigste Auslöser einer Autonomen Dysreflexie ist die Dehnung von Blase (oder Darm).
- Jede Manipulation am unteren Harntrakt wie z.B. die Beckenboden-Passage des Katheters beim IK kann eine Autonome Dysreflexie auslösen.
- Wichtigste Maßnahme ist die Beseitigung der Ursache: Blase (bzw. Darm) entleeren und dann evtl. nach weiteren Ursachen suchen.
- Blutdruckkontrolle und evtl. Blutdrucksenkung nach ärztlicher Anordnung.
6.3. Harnwegsinfektionen
Harnwegsinfektionen (HWI) stellen die häufigsten Komplikationen im Rahmen des Intermittie-renden Katheterismus dar. Unsere Empfehlungen und die unten angeführten Definitionen orientieren sich am „Manual zur neuro-urologischen Diagnostik und Therapie Querschnittgelähmter“ des Arbeitskreises Neuro-Urologie der DMGP (2014).
Besonderheiten von HWI bei Neurogenen Blasenfunktionsstörungen (NBFS)
- Jeder HWI bei NBFS ist ein „komplizierter Harnwegsinfekt“
- „Komplizierte Harnwegsinfekte“ können, müssen aber nicht mit klinischen Symptomen einhergehen.
- HWI kann Zeichen einer nicht ausreichend behandelten neurogenen Blasenfunktionsstörung sein.
- Bei nicht neurogenen Harnblasenfunktionsstörungen sind andere Definitionen gebräuchlich.
- Vor Beginn einer antibiotischen Therapie sollte eine Urinkultur mit Resistenzprüfung erfolgen.
- Ca. 3-5 Tage nach Beenden einer antibiotischen Therapie (cave Hemmstoffe) sollte eine Urinkultur zur Überprüfung des Therapieerfolges angelegt werden.
- Wichtig: Unterscheidung zwischen „asymptomatischer Bakteriurie“, „asymptomatischem HWI“, „symptomatischem HWI“.
- Für Patienten mit intermittierendem Katheterismus trifft die Definition eines katheterassoziierten Harnwegsinfektes (Infektion bei liegendem Dauerkatheter) nicht zu.