Antikoagulation
Die Bildung von Blutgerinnseln in kleinen und End-Gefäßen („Mikrothromben“) scheint bei schweren COVID-19-Verläufen eine wichtige Rolle zu spielen. Neben dem Einfluss auf die Lungen als zentraler Sauerstoffversorger könnten diese Hirninfarkte auslösen, die Pumpfunktion des Herzens beeinflussen, und auch die vielfältigen Ausscheidungsaufgaben der Nieren und der Leber beeinträchtigen.
In einer retrospektiven Analyse von Behandlungsdaten von an fünf Kliniken des Mount Sinai Health System (MSHS) in New York, USA, zwischen dem 01.04. und 30.04. stationär behandelten 4389 Patientinnen und Patienten mit gesicherter SARS-CoV-2 Infektion sollte die Frage geklärt werden, ob eine routinemäßige oder gezielte Antikoagulation mit Heparin, Heparin-Analoga oder neuen Antikoagulanzien (NOAK) die Sterblichkeit in diesem Szenario senkt (Journal of the American College of Cardiology).
Das durchschnittliche Alter der Betroffenen betrug 65 Jahre, 56 % waren männlichen Geschlechts. Je ein Viertel waren Afroamerikaner, Hispanoamerikaner und Kaukasier. Das verbleibene Viertel umfasste Angehörige unterschiedlicher ethnischer Gruppen. Der durchschnittliche Body Mass Index betrug 28 kg / m2, lediglich 5 % aller Patientinnen und Patienten waren Raucher.
Im Beobachtungszeitraum erhielten 1.530 Teilnehmende keine, 1.959 eine prophylaktische und 900 eine therapeutische Antikoagulation.
Die Gesamtsterblichkeit wurde durch beide Formen der pharmakologischen Blockade der Blutgerinnung im Vergleich zur Kontrollgruppe relativ um 50 % reduziert (prophylaktisch: Hazard Ratio [HR] 0,50, 95 % Konfidenzintervall [KI] 0,45 bis 0,57; therapeutisch: HR 0,53, 95 % KI 0,45 bis 0,62) (Abbildung 1). Das Risiko für eine Beatmung wurde relativ um etwa 30 % reduziert (prophylaktisch: HR 0,72, 95 % KI 0,58 bis 0,89; therapeutisch: HR 0,69, 95 % KI 0,51 bis 0,94).
Die Häufigkeit von Blutungskomplikationen war insgesamt gering (therapeutisch: 27 / 900 [3,0 %, nachberechnetes 95 % KI 2,0 bis 4,3 %; prophylaktisch: 33 / 1959 [1,7 %, 9 5% KI 1,2 bis 2,4 %; keine Antikoagulation: 29 / 1530 [1,9 %, 95 % KI 1,3 bis 2,7 %]).
Der Volltextartikel im Journal of the American College of Cardiology liegt derzeit im Pre-Proof-Format vor und erlaubt noch keinen Zugriff auf das elektronische Addendum, in welchem Untergruppenanalysen zur relativen Wirksamkeit niedermolekularer Heparine und NOAK angekündigt werden.
Bemerkenswert ist die detaillierte Berichterstattung von 26 Autopsie-Ergebnissen. Lediglich in einem Fall wurde klinisch eine Thrombembolie vermutet. Bei der Obduktion wurden in vier Fällen unerkannte Lungenembolien, in neun Fällen Mikrothromben in verschiedenen Organen nachgewiesen.
Fazit
Eine prophylaktische, besser womöglich eine therapeutische, laborchemisch kontrollierte und geführte Hemmung der Blutgerinnung könnte bei schweren COVID-19-Verläufen die Häufigkeit einer Beatmung und Gesamtsterblichkeit reduzieren. Die vorläufigen Ergebnisse aus dem Mount Sinai Netzwerk müssen durch weitere wissenschaftliche Untersuchungen bestätigt werden.
(Stand: 11.09.2020)