Remdesivir bei moderater COVID-19-Erkrankung
Wir hatten in unseren vorherigen Newslettern mehrfach über das Ebola-Medikament Remdesivir zur Behandlung von intensivpflichtigen COVID-19-Erkrankungen berichtet. Bisher publizierte Informationen legen nahe, dass die Substanz das therapeutische Spektrum erweitern und bei schweren Verläufen zu einer beschleunigten Erholung und Ausheilung beitragen kann.
Nun wurden im JAMA die Ergebnisse der randomisierten GS-US-540-5774 Studie zur Behandlung moderater COVID-19-Erkrankungen veröffentlicht, welche zwischen März und Mai 2020 an 105 Kliniken in den USA, Europa und Asien durchgeführt wurde. Dem Originalartikel wurden umfangreiche elektronische Anhänge beigefügt. In Deutschland beteiligten sich die Universitätskliniken Düsseldorf, Hamburg, Schleswig-Holstein Campus Kiel und TU München sowie das Klinikum St. Georg Leipzig und die München Klinik Schwabing.
Eingeschlossen wurden stationär behandelte Patientinnen und Patienten mit moderater COVID-19-Erkrankung, radiologischen Zeichen einer Lungenentzündung („pulmonale Infiltrate“), aber ausreichender arterieller Sauerstoffsättigung (>94 %) unter Raumluftatmung. Diese wurden per Zufall einer Standardbehandlung (200 Teilnehmende), einer intravenösen Gabe von Remdesivir über fünf Tage (199 Teilnehmende) oder über zehn Tage (197 Teilnehmende) zugeteilt. Die Dosis betrug 200 mg am ersten und jeweils 100 mg in den Folgetagen. Von 596 Randomisierten wurden Daten von 584 Teilnehmenden (227 Frauen, 357 Männer, durchschnittliches Alter 57 Jahre) ausgewertet. Während die Verteilung von demografischen Variablen und Grunderkrankungen aufgrund der Zufallszuteilung ausgeglichen war, erhielten Teilnehmende der Standardbehandlungsgruppe überzufällig häufig (eigene statistische Nachberechnungen, Fishers exakter Test) das kontrovers diskutierte Malaria-Medikament Hydroxychloroquin (P<0,001), das Antibiotikum Azithromycin (P=0,009) und die gegen eine HIV-Infektion gerichtete Lopinavir-Ritonavir Kombination (P<0,001) (Abbildung 1).
Da es sich, für eine klinisch-pharmakologische Studie ungewöhnlich, um eine offene (also nicht mittels einer Scheintherapie [Placebo] für Betroffene und Behandler verblindete Studie) handelte, ist es unklar, ob die Entscheidung zur Anwendung der genannten Pharmaka unabhängig vom Zufallsergebnis getroffen wurde oder aber die behandelnden Ärztinnen und Ärzte bewusst denjenigen Patientinnen und Patienten im Standardarm zusätzliche, möglicherweise potente und wirksame Medikamente verordneten. Bei der korrespondierenden Autorin handelte es sich nicht um die Erst- bzw. Letztautorin, sondern um die Vertreterin des Herstellers und Sponsors Gilead Sciences, welche jedoch nur inmitten einer langen Autorenliste geführt wird.
Die Gesamtsterblichkeit nach 28 Tagen war mit 9 / 584 (1,5 %) glücklicherweise sehr niedrig, unterschied sich zwischen den Behandlungsgruppen nicht, erlaubt damit aber auch keine Aussagen im Hinblick auf die Wirksamkeit von Remdesivir im wohl wichtigsten patientenzentrierten Endpunkt. Eine detaillierte Berichterstattung über die genauen Todesumstände wäre hier wünschenswert.
Nach 28 Tagen zeigten 345 von 384 Teilnehmenden unter fünf oder zehn Tagen Remdesivir und 166 von 200 Teilnehmenden unter der Standardbehandlung eine klinische Besserung um zwei Punkte auf einer Sieben-Punkte-Skala (Abbildung 2). Die Differenz von 6,8 % zugunsten des Medikaments war kein Zufallsprodukt (nachberechnetes P=0,024). Eine vollständige Erholung wurde in 31 / 384 bzw. 30 / 200 beobachtet (Differenz 6,9 %, P=0,015) (Abbildung 3).
Etwa jeder 14. COVID-19-Erkrankte mit moderatem Krankheitsverlauf würde also nach 28 Tagen von einer Behandlung mit Remdesivir im Hinblick auf Symptombesserung bzw. Erholung profitieren. Etwas irritierend ist die fehlende Dosis-Wirkungsbeziehung - markant günstige Effekte von Remdesivir wurden unter einer fünftägigen, nicht aber einer zehntägigen Therapie beobachtet. Eine mögliche Erklärung könnte darin bestehen, dass weniger als 40 % aller Teilnehmenden der Zehn-Tages-Gruppe auch über zehn Tage behandelt wurden, da sie bereits vorher entlassen werden konnten. Die Häufigkeit unerwünschter Ereignisse folgte jedoch dieser Regel (zehn Tage Remdesivir: 113 / 193 [59 %], fünf Tage Remdesivir: 98 / 191 [51 %], Standardbehandlung: 93 / 200 [47 %]), ohne dass es Unterschiede in der Häufigkeit schwerer unerwünschter Ereignisse zwischen den Gruppen gab.
Fazit
Das ursprünglich gegen Ebola entwickelte Medikament Remdesivir zeigt bei weniger schweren COVID-19-Krankheitsverläufen statistisch messbare und nicht allein zufallsbedingte, klinisch jedoch bestenfalls moderate Wirkungen im Hinblick auf Symptomlinderung und Erholung. Die verfügbaren Daten erlauben es, Remdesivir im Behandlungsspektrum von COVID-19 zu berücksichtigen - ob hierdurch auf Bevölkerungsebene günstige Effekte resultieren, muss durch Langzeitbeobachtungen geklärt werden.
(Stand: 11.09.2020)