Studien zu Hydroxychloroquin (1): Frankreich
Bisher liegen nur wenige belastbare Daten zur klinischen Wirksamkeit von Hydroxychloroquin bei der Behandlung von COVID-19 vor. Die Studie eines international bekannten Infektiologen aus Marseille hat große Medienresonanz erfahren, ist in Fachkreisen aber höchst umstritten.
Einer der vehementesten und medial präsentesten Verfechter der Therapie von COVID-19 mit Hydroxychloroquin, gepaart mit dem Antibiotikum Azithromycin (das möglicherweise ebenfalls antivirale Eigenschaften aufweist), ist Professor Didier Raoult vom international renommierten IHU – Méditerranée Infection in Marseille, Frankreich. In den ersten zwei Märzwochen 2020 wurden Patientinnen und Patienten im Alter von 12 Jahren und älter mit molekularbiologischem Nachweis von SARS-CoV-2 im Nasen-Rachen-Abstrich unabhängig von klinischen Symptomen eine Therapie mit Hydroxychloroquin (200 mg 3 x tgl.), nach ärztlicher Einschätzung in Kombination mit Azithromycin (500 mg am ersten Tag, danach 250 mg tgl. über vier Tage) angeboten. Patientinnen und Patienten, die dies ablehnten oder an anderen französischen Zentren behandelt wurden, welche die Therapie nicht vorhielten, bildeten die Kontrollgruppe. Angestrebt wurden je 24 Teilnehmer in beiden Gruppen. Tatsächlich erhielten 26 Teilnehmer Hydroxychloroquin, von denen jedoch nur 20 nachverfolgt werden konnten. Von diesen erhielten sechs zusätzlich Azithromycin. Die Kontrollgruppe umfasste 16 Teilnehmer. Die mit Hydroxychloroquin Behandelten waren im Mittel deutlich älter als diejenigen, welche kein Hydroxychloroquin erhielten (51 bzw. 37 Jahre). Sechs Tage nach Therapiebeginn konnte bei 14 von 20 der mit Hydroxychloroquin Behandelten und 2 von 16 der Kontrollgruppe keine Virus-Erbinformation im Nasen-Rachen-Abstrich mehr nachgewiesen werden. Bei den ausschließlich mit Hydroxychloroquin Behandelten lag diese Erfolgsrate bei 8 von 14, in der Kombinationstherapie-Gruppe mit Azithromycin gelang bei keinem der sechs Teilnehmer mehr der molekularbiologische Nachweis von SARS-CoV-2. Dies bedingte fehlgeleitete Pressemitteilungen einer „100% Aktivität der Kombination von Hydroxychloroquin und Azithromycin gegen das neue Corona-Virus“.
In der statistischen Analyse sind die Gruppenunterschiede zwar formal so hoch, dass sie nicht allein als Zufallseffekt gewertet werden können. Die kleinen Fallzahlen führen jedoch zu einer starken Unsicherheit, wie effektiv Hydroxychloroquin tatsächlich ist – würde man diese Studie 100 Mal wiederholen, könnten in 95 Wiederholungen theoretisch starke Unterschiede von 83% oder geringe Unterschiede von 32% zugunsten der Therapie beobachtet werden. Eine Wettervorhersage, die eine 95%ige Regenwahrscheinlichkeit zwischen 32% und 83% verspricht, wäre kaum hilfreich, um sich für oder gegen die Mitnahme eines Regenschirms zu entscheiden, wenn man das Haus verlässt.
Zudem wurden keine Patienten-relevanten Parameter, wie z.B. die Häufigkeit schwerer Verlaufsformen, Intensiv- oder Beatmungspflichtigkeit sowie Sterblichkeit berichtet. Auch wurden keine Informationen über unerwünschte Arzneimittelwirkungen mitgeteilt.
Da die Zuteilung zu den Behandlungsgruppen nicht per Losverfahren, sondern eher willkürlich erfolgte, wäre eine statistische Kontrolle (sogenannte „multivariate Regressionsanalyse“) für Unterschiede im Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen usw. angezeigt gewesen. Der Originalartikel ist auf der Homepage des International Journal of Antimicrobial Agents (IJAA) frei verfügbar. Die hinter dem IJAA stehende wissenschaftliche Fachgesellschaft, die International Society of Antimicrobial Chemotherapy (ISAC), hat sich zwischenzeitlich aufgrund der methodischen Mängel der Studie von der Veröffentlichung distanziert.
Fazit
Die vielfach in der Presse (und auf dem politischen Podium) zitierten Ergebnisse der Studie von Professor Raoult aus Marseille können die klinische Effektivität von Hydroxychloroquin oder einer Kombination aus Hydroxychloroquin und dem Antibiotikum Azithromycin gegen das SARS-CoV-2-Virus bzw. die Erkrankung COVID-19 nicht belegen. Aufgrund theoretischer Überlegungen ist es unverändert gerechtfertigt, die Substanzen international unter kontrollierten Bedingungen zu prüfen.
Stand: 17.04.2020